Im März 2025 hat die Landesregierung ein Gesetz erlassen
In der folgenden Karte finden Sie die Ergebnisse der letzten Kommunalwahl für alle Kreise und Kommunen jeweils mit aktueller Zuteilung durch Hare-Niemeyer und mit d'Hondt im Vergleich.
Wir haben eine Grundrechtsklage gegen das Gesetz angestrengt. Eine geringfügige Verzerrung des Wählerwillens, etwa um das Ergebnis auf ganze Sitze abzubilden, ist grundsätzlich nicht verfassungswidrig. Doch hier gibt es kein anderes Rechtsgut, das durch die Umstellung des Verfahrens geschützt oder verbessert wird. Die Differenz zum Wählerwillen steigt, ohne dass es irgend einen Vorteil gibt. Es geht, wie bei so vielen Wahlrechtsreformen, nur darum, dass sich die jeweils regierenden Parteien einen Vorteil heraus nehmen.
Wären die Sitze bei der letzten Kommunalwahl von 2021 nach dem d'Hondt-Verfahren statt Hare-Niemeyer zugeteilt worden, hätte die CDU hessenweit 108 Mandate durch Verzerrung des Wählerwillens dazu gewonnen, die SPD 80. Ansonsten zählten nur einige wenige lokal erfolgreiche Wählergruppen zu den Profitteurinnen. Die Grünen hätten mit landesweit 18,4% in Summe genau gleich viele Mandate erhalten. Es kann also sein, dass bei der kommenden Wahl auch die AfD durch die Umstellung Mandate dazu bekommt.
Hierbei geht es nicht nur um einfache Rundungsfehler. Im Landkreis Darmstadt-Dieburg hatte die SPD 2021 genau 22,89 Sitze gemäß Stimmenanteil erhalten. Diese wurden durch das aktuelle Verfahren von Hare-Niemeyer bereits auf 23 Sitze aufgerundet. Mit d'Hondt wären die Sitze der SPD auf 25 deutlich überhöht worden. Dafür hätte z.B. die PARTEI (mit Anspruch auf 0,82 Sitze) ihren aufgerundeten Sitz verloren. In vielen Ländern gewinnen Populisten mehr und mehr Einfluss, immer wieder auch gestützt durch den Vorwurf, dass bei Wahlen betrogen würde und die etablierten Kräfte die Wahl stehlen würden. Wir halten es für falsch, genau diese Vorwürfe nun mit passenden Gesetzen zu untermauern.
Die Gesetzesreform setzt auch viele gute und notwendige Änderungen um. So müssen Kandidierende zum Beispiel nicht mehr ihren Wohnort veröffentlichen. Die eigennützigen "Optimierungen" im Sinne der Regierung passieren etwas verdeckter. Nach dieser würde die Umstellung des Zuteilungsverfahrens das Wahlrecht vereinheitlichen. Das d'Hondt-Verfahren komme noch bei diversen, indirekten Wahlen in den Volksvertretungen zum Einsatz. Statt diese auf das gerechtere Hare-Niemeyer-Verfahren umzustellen wird also ein auf Fallback auf das veralterte Verfahren auch bei der Parlamentswahl durch das Volk zurückgegriffen.
Die Änderung des Kommunalwahlgesetzes zu Gunsten der regierenden Parteien reiht sich in eine Folge von demokratiefeindlichen Gesetzesänderungen ein. Obwohl die FDP z.B. genau wie wir gegen das aktuelle Gesetz
klagt, hatte sie in der vergangenen Legislatur des Bundestages dort eine Wahlrechtsänderung mit beschlossen, die es z.B. kleinen Parteien verbietet ohne Landeslisten und nur mit Kreiswahlvorschlägen an
Bundestagswahlen teilzunehmen.
In unserem Fall verzichtet die Landesregierung auf eine Stellungnahme. Stattdessen wurde uns eine Antwort zugesant, die die Regierung auf den Antrag der FDP von einem Prof. Grzeszick hat anfertigen lassen. Prof. Grzeszick wiederholt darin zwei klassische Falschbehauptungen, die auch von Regierungsvertretern immer wieder geäußert werden.
Prof. Grzeszick behauptet noch in der Einleitung, Hare-Niemeyer hätte übermäßige Rundungsgewinne kleiner Wahlvorschläge
zur Folge. Dazu wird auf Seite 23 ein Beispiel eingebracht:
Nach Hare-Niemeyer sind beide Wahlvorschläge nun gleichberechtigt, den letzten Sitz zu bekommen. Nach Prof. Grzeszick würde aber Partei A sehr viel stärker bevorteilt, wenn sie den Zuschlag erhielte als Partei B, da die Stimmen für Partei A ein 33% höheres Gewicht erhielten, die für Partei B jedoch nur ein 6% höheres Gewicht.
Dieses Beispiel betrachtet bewusst nur die möglichen Gewinne, nicht aber die Verluste. Würde man den Sitz Partei B geben, so wären die Stimmen für Partei A um 33% untergewichtet. Mit dieser einseitigen Betrachtung versucht die Gegenseite das Gericht zu täuschen.
Eine Auswertung der Wahl von 2021 zeigt, dass bei dem Verfahren von Hare-Niemeyer gerade die größten Parteien mit hessenweit über tausend Mandaten in Summe nur wenige Sitze mehr oder weniger erhalten haben, als ihnen perfekter Weise zustünden, wenn man eine Kommazahl an Sitzen zuteilen könnte.
Die durchgezogene Linie zeigt die Summe aller kleineren Parteien bis zum betrachteten Punkt. Diese Linie kreuzt die X-Achse mehrfach und über die gesamte Breite des Diagramms. Es gibt also keine Grenze, bei der man sagen könnte, dass kleinere oder größeren Parteien bevorzugt würden. Einzig die Menge der Parteien, die Null Sitze erhalten haben, generiert eine gewisse Zahl an zwingend abzurundenden Mandaten, die im Verlauf den größeren Listen zugeschrieben werden muss. Der Zuschlag für den größten Rundungsgewinn geht dabei dann statistisch gesehen häufiger an eine kleine Partei, da mehr kleine, als große Parteien an den Wahlen teilnehmen. Die Gewinne oder Verluste bei Hare-Niemeyer sind weitgehend willkürlich und es ist vor der Wahl kaum möglich, durch Zusammenfassung oder Aufsplittung von Listen gezielt Vorteile zu generieren.
Ganz anders das d'Hondt-Verfahren: Hier entsteht ein kontinuierlicher Fehler, der sich bis zu den jeweils 2 bis 3 größten Parteien aufsummiert, die dann sämtliche übrigen Sitze gewinnen. Erst wenn man weit heraus zoomt, wird das Ausmaß der Stimmenumgewichtung sichtbar:
Wir zeigen hier die hessenweit summierten Ergebnisse nach Parteien bzw. Wählergruppen, welche nach gleichen Namen zusammengefasst sind. In wieweit man gleichnamige Gruppen aus verschiedenen Orten als eine Organisation betrachten kann, ist insbesondere bei z.B. den UWGs fraglich. Aber eine Veränderung der Aussage ist auch bei einer anderen Gruppierungsschematik nicht zu erwarten.
Prof. Grzeszick behauptet ebenfalls in der Einleitung, dass sich die politische Zersplitterung mittlerweile erkennbar nachteilig auf die Handlungs- und Funktionsfähigkeit der Gemeindevertretungen und
Kreistage auswirke
. Wir erleben regelmäßig das Gegenteil: Die Dominanz einiger großer Parteien führt in den meisten Orten zur Bildung von Koalitionen, die fast alle Anträge anderer Parteien ablehnen.
Dadurch wird die Handlungsfähigkeit der Volksvertretungen erheblich eingeschränkt. Den komplexen Krisen unserer Zeit kann nur adäquat mit einer stärkeren Spezialisierung der Parlamente begegnet werden.
Wir haben diese Argumentation bereits erwartet und vorangestellt, dass die Antragsgegner dafür zwingend empirische Belege dafür vorlegen müssten, dass Parlamente mit zunehmender Anzahl an Parteien disfunktional würden. Ferner ist eine maximale Funktionsfähigkeit eines Parlaments nicht das einzige Ziel erfolgreicher Demokratie. Wir listen im folgenden einige nationale Parlamente sortiert nach der Stärke der größten Partei auf:
| Land | Parlament | Anzahl vertretener Parteien | Stärkste Partei (%) | Jahr der betrachteten Wahl |
|---|---|---|---|---|
| Europa | EU-Parlament | 211 | 10,42 % | 2019 |
| Belgien | Abgeordnetenkammer | 12 | 15,33 % | 2024 |
| Indonesien | Volksvertretungsrat | 8 | 18,97 % | 2024 |
| Island | Althing | 6 | 23,81 % | 2024 |
| Finnland | Eduskunta | 9 | 24,00 % | 2023 |
| Niederlande | Zweite Kammer | 15 | 24,67 % | 2023 |
| Deutschland | Bundestag | 7 | 26,03 % | 2025 |
| Dänemark | Folketing | 16 | 27,93 % | 2022 |
| Spanien | Abgeordnetenkongress | 20 | 29,14 % | 2023 |
| Schweden | Reichstag | 8 | 30,37 % | 2022 |
| Südafrika | Nationalversammlung | 18 | 39,75 % | 2024 |
| Brasilien | Abgeordnetenkammer | 20 | 43,13 % | 2022 |
| Taiwan | Legislativ-Yuan | 3 | 46,02 % | 2024 |
| Kanada | Unterhaus | 5 | 49,27 % | 2025 |
| USA | Repräsentantenhaus | 2 | 50,34 % | 2024 |
| Indien | Lok Sabha | 37 | 55,60 % | 2019 |
| Australien | Repräsentantenhaus | 7 | 62,67 % | 2025 |
| Russland | Duma | 5 | 71,97 % | 2021 |
| Belarus | Nationalversammlung | 4 | 72,86 % | 2024 |
| Dschibuti | Nationalversammlung | 2 | 89,23 % | 2023 |
| Venezuela | Nationalversammlung | mind. 3 | 91,34 % | 2020 |
Mit der Umstellung auf das d’Hondt Verfahren werden die größten Parteien bevorzugt, was in der Tabelle ein nach unten rücken zur Folge hätte. Wir bitten die Gegenseite darum, diese Tabelle um weitere Beispiele zu ergänzen, andere Auswertungskriterien zu definieren oder zu begründen, warum die Demokratie in der unten Tabellenhälfte besser wird.
Da das parlamentarische System offensichtlich nicht in der Lage ist, seine eigenen Wahlgrundsätze zu regeln, ohne dass große Volksparteien sich durch die Wahlgesetze selbst bevorteilen wollen, sollte das System der wählbaren Politik um Bürgerräte ergänzt werden, deren Vertreter gelost werden. Im Falle der Wahlgesetzgebung sollten etwaige Bürgerräte auch legislative Kompetenz erhalten.
Es ist ein Zeichen für den bevorstehenden Zerfall von Demokratien, wenn große Pateien gezielt Neuwahlen auslösen oder die Wahlgesetze zu ihren eigenen Gunsten abändern, um sich selbst an die Macht zu bringen oder an dieser zu halten.
So erklärt Mitja Stachowiak, Landesschatzmeister der Klimaliste in Hessen, die politische Lage. Das politische System in Deutschland hat sich in eine Sackggasse manövriert, die es faktisch unmögich macht, dass Menschen in diesem Land für bestimmte politische Ziele aktiv werden und dann auch etwas bewegen können. Die etablierten Volksparteien sind Ausdruck dieses systemgewordenen Stillstands und die AfD derzeit die einzige Kraft, von der Menschen erwarten, dass sie die Herrschaft der Mehrheitskoalitionen zerschlagen kann. Das ist eine gefährliche Lage, die einen Zusammenbruch unserer Demokratie zunehmend wahrscheinlich werden lässt.
Am 27. Juni wurden die Ergebnisse einer Demokratiestudie der Hessischen Landesregierung veröffentlicht. Druchgeführt wurde die Studie vom Institut für Markt- und Politikforschung dimap. Während die Hessenschau berichtet, eine knappe Mehrheit sei mit der Demokratie unzufrieden, die Frankfurter Allgemeine betont, eine Mehrheit der Hessen sehe die Demokratie in der Krise und die Frankfurter Rundschau Zweifel an der Demokratie belegt sieht, titelt die Hessische Staatskanzlei, die Demokratieförderung zeige erste Erfolge.
Den Handelnden des politischen Machtapparats ist offenbar nicht bewusst, dass die Menschen zunehmend die Legitimität der Regierung in Frage stellen.
Unter den Befragten geben 58 Prozent an, die Demokratie in Hessen funktioniere momentan in der Praxis eher gut oder sehr gut. Gleichzeitig beklagen 86 Prozent das staatliche Gewaltmonopol werde von vielen
gar nicht mehr richtig akzeptiert. Man merke das bei Angriffen gegen Rettungskräfte, Feuerwehr oder Polizei. Letzteres wird in der Pressemitteilung der hessischen Staatskanzlei
Die Reaktionen der Nachrichtenportale zeichnen hier ein besorgteres Bild. Die Hessenschau legt den Fokus auf die Frage zur Situation in Deutschland. Hier gaben über die Hälfte der Befragten an, die
Demokratie funktioniere überhaupt nicht oder eher weniger. Die Unterschiede zwischen der Situation in Hessen und bundesweit werden einerseits mit dem Auseinanderbrechen der Ampel-Regierung, aber auch
mit dem Eigenlob des Unionspolitikers Kuhn, die [b]ürgernahe, pragmatische Politik
stelle Vertrauen her, begründet.
Wir würden uns an dieser Stelle wünschen, dass die unionsgeführte Regierung nicht die Herabsetzung des Wahlalters verhindert hätte. Beispielsweise kommen Forschende aus Wien zu dem Ergebnis, dass
Menschen die bereits mit 16 wählen durften ein hohes Maß an Vertrauen in das politische System aufweisen und mit der Demokratie überdurchschnittlich zufrieden sindDas Wahlalter sollte - wie die Hessische Verfassung es vorsieht - bei 18 Jahren und an die Volljährigkeit und die Geschäftsfähigkeit gekoppelt bleiben.
In der Frankfurter Rundschau und der Frankfurter Allgemeinen wird noch erwähnt, dass die Befragten der Polizei am meisten Vertrauen entgegen bringen (73 Prozent). Die Hessische Landesregierung
(44 Prozent), der hessische Landtag (43 Prozent), der Landrat (40 Prozent) und die regionalen Abgeordneten (38 Prozent) liegen im Vertrauen in der unteren Hälfte der abgefragten Institutionen
und die Bundesregierung (29 Prozent) und die Medien (29 Prozent) genießen am wenigsten Vertrauen
Wir sind überzeugt: Demokratie braucht Vertrauen – und Vertrauen entsteht durch Transparenz und eine Rückkopplung von Wahlentscheidungen und der Gesetzesgebung. Deshalb fordert die Klimaliste Hessen die vollständige Offenlegung aller Nebeneinkünfte von Abgeordneten in Bundes- und Landesparlamenten. 78 Prozent der Befragten in der Studie sprechen sich für mehr Transparenz durch nachvollziehbare Entscheidungsprozesse aus. Dazu gehört auch die Offenlegung, welchen finanziellen Interessen Abgeordnete außerhalb ihres Mandats nachgehen. Nur so kann öffentlich nachvollzogen werden, ob politische Entscheidungen unbeeinflusst getroffen werden.
Grundsätzlich brauchen wir eine Abkehr von Mehrheitskoalitionen und eine Spezialisierung der Politik. Es bringt für niemanden einen Vorteil, wenn Abgeordnete, die für eine Bestimmte politische Frage weder qualifiziert sind noch dafür im Wahlkampf geworben haben und somit auch von ihren Wählern eigentlich für andere Themen gewählt wurden, bei der Entscheidung mit stimmen. Es passiert bei koalitionsgeführten Parlamenten aber ausnahmslos immer, dass die Koalitionsparteien alles mitbestimmen. Es ist zumeist dann auch nicht direkt nachvollziehbar, welche Partei nun ein Gesetz entwickelt oder verhindert hat. Gegen die Absenkung des Wahlalters hatten zum Beispiel in der vergangenen Legislatur in Hessen auch die Grünen gestimmt, die noch im Wahlkampf für eine Herabsetzung geworben haben. Eingebracht hatte das Gesetz die SPD. Wird es nun mit der SPD in der Regierung also kommen? Wir werden sehen...
Der Paritätische Wohlfahrtsverband bewertet die Studienergebnisse aus einem anderen Blickwinkel. In einer PressemitteilungSich für Minderheiten einzusetzen ist wichtig. Der Staat sollte aber auch dabei die Mehrheit der Bevölkerung nicht aus dem Blick verlieren
. Laut Dr. Yasmin Alinaghi,
Landesgeschäftsführerin des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Hessen, werden hierdurch Neidgefühle von Menschen gegenüber Minderheiten verstärkt, die sich selbst einer benachteiligten Mehrheit zuordnen.
Dieser Kritik können wir uns bereitwillig anschließen und weitere fragwürdige Antwortmöglichkeiten beisteuern. Zum Beispiel wurden die Teilnehmer gefragt wie sie
[die] Einführung neuer Sicherheitsmaßnahmen wie KI-gestützte Videoüberwachung und generell eine Stärkung der Rechte der Polizei
finden. Hier werden zwei sehr unterschiedliche Maßnahmen kombiniert
– Teilnehmende können sie aber nur mit einer gemeinsamen Antwort bewerten. Auch ist die Rede von neuer Sicherheitsmaßnahmen
und einer Stärkung
der Polizei, womit die Maßnahmen als tendenziell
positiv und notwendig dargestellt werden. Durch solche Formulierungen kann ein Framing-Effekt entstehen der Antworten zulasten der Objektivität beeinflussen kann.
Dass der Polizei von den Befragten ein vergleichsweise hohes Vertrauen entgegen gebracht wird, ist ein Effekt der noch funktionierenden Gewaltenteilung in Deutschland. Würden die selben Befragten es auch
gut finden, wenn der amerikanischen Nationalgarde mehr Kompetenzen gegeben werden sollen, die Präsident Trump gerade gegen freiheitliche Proteste überall im Land einsetzt?
Das, was unsere Demokratie stärkt und lebendig hält, ist die Vielfalt von Parteien und Meinunen im Parlament.