Versammlungsfreiheitsgesetz und Update zum Verfahren OKNB

Zwei Mitglieder auf der Demo vor dem Landtag in Wiesbaden. Auf der Demo gegen das hessische Versammlungsfreiheitsgesetz in Wiesbaden, mit dem selben Pappschild, wie in Berlin
Pressemitteilung der Klimaliste Hessen vom 11. März 2023

Heute demonstrierten zahlreiche Organisationen gegen das neue Versammlungsfreiheitsgesetz für Hessen. Mit der Förderalismusreform von 2006 ging die Gesetzgebung des Versammlungsrechts vollständig an die Bundesländer über. Die Bundesgesetze zum Versammlungsrecht werden kaum weiter entwickelt. Mangelnde Rechtssicherheit in komplizierteren Fragen treibt die Bundesländer seitdem an, eigene Versammlungsfreiheitsgesetze zu erlassen. Nach Bayern, Sachsen-Anhalt, Niedersachsen, Sachsen, Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und Berlin soll nun ein solches Gesetz für Hessen folgen.

Doch unsere Erfahrungen mit dem Berliner Gesetz zeigen, dass durch den Wildwuchs an lokalen Gesetzen eben nicht mehr Rechtssicherheit geschaffen wird. Häufig urteilen Gerichte - gerade in höherer Instanz - eher zu Gunsten der Demonstrations- oder Meinungsfreiheit. Doch mit immer mehr Gesetzen lassen sich etwaige Präzedenzfälle nicht mehr bundesweit anwenden. Da bereits seit Jahren immer mehr Polizeipräsenz bei Demonstrationen zu beobachten ist, befürchten viele der heute Demonstrierenden, dass auch das kommende, hessische Gesetz mehr Auslegungsspielraum für repressive Maßnahmen bietet.

In Berlin hatte die Versammlungsleitung der OKNB 2022 ein Mitglied unserer Partei von der Abschlussdemonstration ausgeschlossen, weil dieses, wie viele andere auch, mit einer Fahne seiner Organisation bei der Demo dabei war.Pressemitteilung der Klimaliste Hessen vom 4.9.2022: Mit zivilem Ungehorsam für gelebte Demokratie Nur ist unsere Organisation eben eine Partei. Nur so können wir bundesweit zu Wahlen antreten. Die OKNB möchte eine "überparteiliche" Veranstaltung sein - aus irgend einem Grund definieren einige Menschen in der Klimabewegung Überparteilichkeit so, dass Parteien auf Demonstrationen unsichtbar bleiben müssen, damit möglichst wenig Menschen aus der Klimabewegung politisch aktiv werden, sich keine neuen Parteien etablieren können und die Wahl der Grünen alternativlos wird. Im Organisationskreis der OKNB sind einige Menschen selbst Parteimitglied der Grünen - also der Partei, die gerade direkt für das neue Gesetz in Hessen mitverantwortlich ist...

Dass eine Versammlungsleitung frei entscheiden kann, wer für eine Sache demonstrieren darf und wer nicht, ist durch keines der Versammlungsgesetze so vorgesehen. Also hat unser Mitglied sich zuletzt geweigert, seine Parteifahne der Klimaliste einzurollen. Die Versammlungsleitung lies das Mitglied darauf hin durch die Polizei von der Demo entfernen.

Es ist in Ordnung, wenn Organisationen ausgeschlossen werden, die den Zielen und Forderungen, die eine Versammlung verkörpert, zuwiederhandeln. Sollte etwa eine AfD-Fahne, eine Unternehmensfahne von RWE oder der rassebewusste Aryan Circle bei einer Klimademo auftauchen, dürfte dies den Unmut der anderen Demonstrierenden erregen, sodass eine ordnungsgemäße Durchführung der Versammlung nicht mehr möglich wäre. Ob eine Organisation also Partei, Verein, Unternehmen oder Glaubensgemeinschaft ist, dürfte in den seltensten Fällen eine Rolle spielen. Es geht um die Werte, die man vertritt.

So besagt auch das Versammlungsfreiheitsgesetz von Berlin, dass Die Versammlungsleitung Personen, die die Ordnung der Versammlung erheblich stören, aus der Versammlung ausschließen darf§7, Absatz (4) Versammlungsfreiheitsgesetz Berlin. Es folgte ein Bußgeldbescheid über 300€ wegen Verletzung von §27 Absatz 1 Nummer 7 und §16 VersFG BE, wir haben Widerspruch eingelegt, es folgte ein Gerichtsverfahren am 12. Januar 2023. Schon im Vorfeld hatte Richter Dr. Gutman uns geraten den Widerspruch zurück zu ziehen, da im Rahmen eines Bußgeldverfahrens das Strafgericht nicht inzident die Angemessenheit der Maßnahme objektiv überprüfen könne. Aber wie soll man sich überhaupt gegen unangemessene Maßnahmen wehren können, wenn das Gericht dies nicht prüfen kann? Wir haben es also trotzdem versucht und das Verfahren durchgezogen.

Vorschau für Video zum Gerichtsverfahren.

Das Amtsgericht Tiergarten sollte also feststellen, ob nun alleine die Tatsache, dass wir Partei sind, eine erhebliche Störung der Versammlung bedeuten kann. Außer der Versammlungsleitung selbst hatte sich nämlich kaum jemand an unserer Fahne gestört. Vielmehr musste unser Mitglied Mitdemonstrierenden erklären, warum seine Teilnahme gerade eine Aktion zivilen Ungehorsams darstellte.

Im Verfahren argumentierte Richter Gutman wie erwartet nach dem Motto Was, wenn die AfD mit ihrer Fahne kommen würde? Klar, aber wir sind ja eben nicht die AfD. Weiter führte Gutman an, dass sich eine Demo ja gegen die Vereinnahmung durch Parteien schützen können müsse. Dafür gibt es jedoch keine gesetzliche Grundlage. Vielmehr heißt es im Parteiengesetz: Die Parteien wirken an der Bildung des politischen Willens des Volkes auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens mit, indem sie insbesondere auf die Gestaltung der öffentlichen Meinung Einfluß nehmenParteiengesetz §1 Absatz (2). Bei Demonstrationen dabei zu sein ist also sogar explizit unsere Aufgabe. Natürlich wollen wir diese nicht vereinnahmen. Es geht darum, zu zeigen, welche Forderungen wir unterstützen. FDP oder CDU würden sich sicher keiner autobahnfeindlichen Klimademo anschließen. Ausgerechnet die AfD beweist aber in Kooperation mit Pegida, dass eben diese Wahrnehmung der gestalterischen Meinungsbildung funktioniert und Abgeordnete mit etwaigen Zielen der Bewegung in die Volksvertretungen bringen kann.

Wir wollen nicht tatenlos zusehen, wie unser politisches System stets nur rechten oder reaktionären Strukturen dient, sondern politische Möglichkeiten schaffen, die die Ziele der Klimabewegung realisierbar werden lassen. Es soll gar nicht die gesamte Klimabewegung in die Politik wechseln. Protest und direkte Aktion bleiben wichtige Bausteine im Kampf für Klimagerechtigkeit. Jedoch ist es auch notwendig, engagierte Menschen in den Parlamenten sitzen zu haben. Nur so bemerkt man, wo es konkret schief läuft und wo man den Hebel ansetzen muss. Wir wollen nicht Menschen, die sich für direkte Aktion entscheiden, mit Politik nerven. Wer keine Lust auf Politik hat, kann gerne einen Bogen um unsere Parteifahne gehen - wenn wir sie denn tragen dürfen. Wenn die Versammlungsleitung der Demo eine gewisse Ordnung gibt, zum Beispiel Parteien und parteinahe Organisationen in einem politischen Block gruppieren möchte, werden wir dem gerne nachkomen. Genau diese Blockbildung könnte das neue Gesetz in Hessen aber behindern.https://netzpolitik.org/2023/hessen-weniger-freiheit-mit-dem-versammlungsfreiheitsgesetz/

In Berlin entschied sich Richter Gutman, wie zuvor angekündigt, für eine Verurteilung unseres Mitglieds. Wie der Tatbestand der erheblichen Störung der Versammlung begründet wäre, führte Gutman nicht aus. Das uns zugestellte Urteil enthielt gar keine Begründung. Dazu heißt es in der Anlage zu Ordnungswiedrigkeitsverfahren: Von einer schriftlichen Begründung des Urteils kann abgesehen werden, wenn alle zur Anfechtung Berechtigten auf die Einlegung der Rechtsbeschwerde verzichten oder wenn innerhalb der Rechtsmittelfrist Rechtsbeschwerde nicht eingelegt wird. Wir wollen natürlich Rechtsbeschwerde einlegen. Aber bei Ordnungswiedrigkeitsverfahren muss die Zulassung einer Rechtsbeschwerde zunächst beantragt werden.§80 Ordnungswiedrigkeitsgesetz Eine Rechtsbeschwerde wird explizit nicht oder bestenfalls zur Fortbildung des Rechts zugelassen, wenn wegen der Tat im Bußgeldbescheid oder im Strafbefehl eine Geldbuße von nicht mehr als einhundertfünfzig Euro festgesetzt worden war. Somit überrascht es nicht, dass Gutman die Geldbuße auf genau 150€ herabsetzte.

Aufgrund der allgemeinen Überlastung der Gerichte scheute Gutman hier offenbar davor, in erster Instanz einen Präzedenzfall zu schaffen. Dieser würde ja auch nur für Berlin gelten - mit immer mehr regionalen Versammlungsfreiheitsgesetzen wird der Rechtsapparat also noch stärker belastet. Dieser Fall zeigt, wie schwer es ist, juristisch gegen eine Überdehnung von Ermessensspielräumen vorzugehen. Mit dem neuen Gesetz werden solche Spielräume aber ausgedehnt, z.B. was die Personenkontrolle auf dem Weg zur Versammlung, das Unkenntlichmachen der Identität oder auch das verdachtsweise Filmen der Demonstrierenden angeht. Das bereitet uns zumindest Sorge.